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Motto
Stets griffbereit
das Wort beim
Wort zu nehmen,
die Grenzen dessen
zu erkennen,
stets den Pass
zur Überschreitung
in der Hand.
Peter Bellmond - 2004
Paranoia
Bedroht sein von der Umwelt
bedroht sein von sich selbst,
löst aus:
dass man fortan in einen Graben springt,
der nicht existiert.
Sylvia Reuther - 1981
Mein Gegenüber
Ruheselig sitze ich auf einer Wolke.
Ich merke ... jemand sitzt mir gegenüber,
die so aussieht wie ich.
Ich will sie ansprechen.
Doch nur mit einem Lächeln reagiert sie.
. . . Und ich weine!
Sylvia Reuther - 1981
Ich werde mir davonlaufen,
davonlaufen,
wenn ich die Bäche lispeln höre
über mich.
Ich werde mir davonlaufen,
davonlaufen,
wenn ich den Wind lachen höre
über mich.
Ich werde bis zum Tode rennen,
bis zu meinem Tode,
wenn ich die Menschen schweigen höre
über mich.
Wolfgang Hermsen - 1983
Programm
Poesie muss
an die AußenMauern
unseres InnenLebens
geschrieben werden!
Gerhard Seidel - 198x
Bilder der Depression
Schmeidig
gleitet die Schmerznatter
in meinen Magen
und beißt sich fest.
Sorgenwürmer verschleimen
das Blut,
mästen sich
an meinen Nerven.
Wahnviren pochen
in den Schläfen,
den Verstand aushölend.
Angstpinnen weben Netze
der Hysterie,
in denen sich Werte
verfangen.
Panikgeier attackieren die Psyche,
paaren sich mit Trübsalseulen,
die den Blick verschleiern,
Hoffnung ersticken.
Mein zitterndes Es
lässt tausende
Todessehnsuchtslarven
schlüpfen.
Der letzte Glücksmoment
badet in Perlen
von Angstschweiß.
Paula 2010 (bearb.)
Im Ladengang
Stehe ich bei Fritten hinten an
Kommt ein Kerl wie ein Schrank
Drängelt mich an die Wand
Mein Rückgrat in Positur
Einen Reflex unter die Frisur
Platzen die Platten wie gehobelt
Stürzen ins nächste Geschäft
Von Nerz
Chinchilla und Zobel
Sirenen kilometerweit klingen
Einsatzwagen, Polizisten springen
Wollte Pommes mit Majo und Tunke
Sitze jetzt ein wie ein Halunke
Weiße Kittel und Spritzen jagen
Mit endlos folternden Fragen
Eine Sekunde.
Heidrun-Auro Brenjo 2002 (bearb.)
Da sind Worte reich an Steinen,
ohne Zunge, ohne Herz,
achtlos, ohne Schatten,
der ein Licht vermuten lässt.
Da sind Worte weiter Deutung,
die Irrtum, Täuschung bergen,
Misstrauen säen, mit Bedacht
tiefe Wurzeln schlagen in die Angst.
Da sind Worte, die verstummen,
Motive, Ziele auseinandergleiten,
sich verlieren, untergehen.
Peter Bellmond - 1999 (bearb.)
Verständigung
Mein Sprachvermögen
gilt den Duldsamen:
wohl sind sie die an den Rand
der Menschensammlungen gestreuten,
denen ich Auskunft
geben kann, die wollen
es hören: sie halten
ihr Muschelhaus offen: sie
alleine werden
die Sprache
erfassen
ohne Verlust.
Peter Bellmond - 1977 (bearb.)
Stumm der Stein
in Gründen aus Ewig
Stumm der Schrei
des Menschen in Qual
Stumm der Blick
eines Gottes in Ferne
Schweigen
am Ende von Zeit.
Peter Bellmond - 1998
Rund wie die Erde,
vielfältig
ist die Wahrheit.
Sie zieht Lügen an
und bildet Atmosphäre,
schleiergleich,
angenehm und atembar.
Matthias Schmidt - 1973
Wirklichkeit
heißt meine Mutter
die ich
von Zeit
zu Zeit noch
brauche . . .
Ihren jüngeren Verwandten
fühle
ich mich
hingegen
mehr
verbunden - - -
Matthias Schmidt - 1973
Die Moderne sagte:
morgen
Post-Moderne sagt:
gestern
Übermorgen
Sind wir
An den Rand
Der Zeit
Gedrängt . . .
Und schauen hinüber . . .
Matthias Schmidt - 1983 (bearb.)
Berühre die Glas-Perlen-Kette
deiner Kindheit.
Dreh dich um
und schenke der
Vergangenheit
ein paar Gedanken.
Such im Spiegel
dein Kinderlachen.
Nimm dich bloß nicht
so tragisch ernst,
dreh dir eine lange Nase
und schrei:
Ich bin es doch,
ein alterndes Kind!
Jutta Onken - 2000
Familiär
In unserem Museum -
wir besuchen es jeden Sonntag -
hat eine neue Abteilung geöffnet:
Unsere abgetriebenen Kinder,
blasse, ernsthafte Embryos,
sitzen dort in schlichten Gläsern und
sorgen sich um die Zukunft ihrer Eltern.
Welchem Schicksal sie wohl entgangen sind?
In unserer Wochenzeitung -
wir kaufen sie jeden Freitag -
hat ein neuer Bildbericht begonnen:
Kinder dieser Welt,
lebende Skelette, tränende Augen,
vor Hunger aufgeblähte Leiber,
misshandelte und verkaufte Babies,
auch in Müllcontainern,
Kleinstkinder, geschändet, auch von den eigenen
Eltern, kaputt gemacht für den Rest des Lebens.
.
Jutta Onken - 2000
Wenn ich
die Kälte am Baum meines Lebens
nicht mehr fühlen,
das hängende Ende der Schlinge
vergessen würde,
könntet ihr über mich richten
und meinen Glauben aus dem Herzen reißen.
Ihr seid klein, falsch, regt euch nur,
um einen winzigen Vorteil zu gewinnen,
bleibt aber stumm,
wenn es um alle Menschen geht.
Euch haben den Blick über euch hinaus
das Fernsehgerät und Illusionen getrübt.
Korrigiert lieber eure Kinder,
bevor ihr Gerechtigkeit übt.
Jutta Onken - 2000 (bearb.)
Die Freiheit der Winde
Schmäht nicht die Glocken
die tönen dumpf
nachts
als Geländer
der gute Wille aller
mit unbestimmtem Schein über Treppenstufen
Laternen auf Gusseisenpfählen
und manchmal schaukeln Lampions
die Freiheit der Winde
zu nutzen wissen
als Aufbruch.
Martin Blumenthal - 1979
Vermutungen über den Alltag
Ich reiss ein Loch
in den Alltag und
werde es Heimat
nennen,
wenn ich es
am Abend
noch erkenne.
Peter Langen - 2004
Der Mensch und sein Gott
Gott aus zu denken wollen
ist ungefähr so,
wie maßlos bestimmen
zu wollen.
Peter Langen - 2004
Spuren
eines Lächelns würdig
wünsch ich meine
Finsternis
bevor ich sie verlasse
in das nächste
Nichts.
Peter Langen - 1998
Vergesellschaftung
Sei froh dass Du das nicht
mehr sehen musst, Rudi.
Deine Freundinnen und Freunde
Halten jetzt die Ministerien besetzt.
Nicht aus Protest.
Nicht aus Solidarität.
Nicht zur Befreiung.
Sie diskutieren gewiss.
Nicht über Protest.
Nicht über Solidarität.
Nicht über Befreiung.
Sie haben sich entwickelt.
Sie distanzieren sich.
Sie vermarkten sich.
Sie erinnern sich nicht
An vergangene Zeiten.
Sei froh dass Du das nicht
mehr hören musst, Rudi.
Für Deine Freundinnen und Freunde
Bist Du heute ein Terrorist.
Miriam Rheinhard - 2001 (bearb.)
Herbstlaub
Wir gingen
durch das Herbstlaub
der Übergangszeiten
die Weisungen Gottes haltend
der stumm blieb
spurlos verstummt
Spurlos gingen auch wir
nicht mal Rascheln des Laubes
wir waren wie Federn
und fielen nicht ins Gewicht
der welken Übergangszeiten
Es waren Zeiten
wo man vom Laub sprach
wegen der Schönheit
der Schönheit
der Pressesprecher sagte:
Schweigen ist besser
wegen der Schönheit
der Schönheit
der goldenen Blätter
Die Bäume wuchsen stumm
und ohne Wurzeln
wie verurteilend
auch wir waren wurzellos
und blieben wortfern
Wir gingen
durch das Herbstlaub
der Übergangszeiten
das schmerzvoll
in der Zeit verfiel
Miriam Rheinhard - 2001 (bearb.)
Das Stirnband
Politisch bin ich stets korrekt,
sag nur was rund ist und nicht eckt,
trag meinen Maulkorb würdevoll
als guter Mensch nach Fuß und Zoll.
Das Stahlband rund um meine Stirn,
bewacht erfolgreich mein Gehirn,
damit sich Sprache nicht vergreift
und auf ein falsches Wort versteift.
Wenn ich aus altem Kinderbuch
Geschichten vorzulesen such,
sag ich an manchen Stellen "piep" -
da bleibt so manches Wort im Sieb.
Ich rüttle nicht am Gitterstab,
wünsch die Zensur nicht in ihr Grab,
prüf jedes Wörtchen auf Verdacht,
bevor man mich zur Schnecke macht.
Am besten halt ich ganz den Mund,
dann hab' ich noch das dickste Pfund:
Der Shitstorm bleibt mir so erspart
und mein Gemüt vor Leid bewahrt.
Ilka-Maria - 2015
Poeme de Noel
Il neige des gros flocons,
blancs sont déjâ les champs,
je cherche l'enfant (de Noel) (en moi-méme),
mais il ne me reste que le rêve de mon enfance.
Ulrike Stahl - 1992
In cognito
Absichten keimen aus unzähligen Bedürfnissen,
Wie ein Spross aus der Dunkelheit
Vorhistorischer Zeiten,
Rar an Artefakten,
In die Wärme, noch dem Licht verborgen.
Absichten sind unvorhersagbar wie Illusionen,
Wie Strahlen und Schatten gleiten,
Bei Zufall menschliche
Kräfte mit entziffern,
Wandern in cognito, tarnen, winden sich.
Absichten enteilen in kosmische Dimensionen,
Wie ein Bambus in den Himmel
Hinauf in die Weite,
Schwerkraftlos,
Marsmenschen die feindliche Übernahme zu künden.
Udo Frentzen - 2022
Gittertore zerteilen den Blick,
Nur wenige stehen am Abend
Vor der ausgestorbenen Fabrik.
Fast alle hasten stumm entlang
Und folgen der Häuserreihe
Mit scheinender Ladenfront.
Ihre Augen gefesselt vom Glanz,
Haften am lockenden Hort, -
Von ihm sind sie eingefangen, -
Sucht einer des anderen Wort,
Er findet es nicht.
Udo Frentzen - 1971
In Einsamkeit
Viele Kilometer von der nächsten Behausung
Im leichten Flackern eines Birkenholzfeuers
Saugt ein einfacher, genauer Kopf Seine Zeilen auf,
Verfolgende Augen eines Spions zerstückeln das Bild
Zu berichten: 'Seine sanfte Stimme hat nie gesprochen.'
In Verlassenheit
Abgetrennt von Abteilungen für Genesende
In einem gedämpften Bereich für Sterbende,
Eines Kranken Atem verlangsamt sich, gibt auf,
Toxische Drogen erstarren sein Gesicht in Agonie
Zu beweisen: 'Seinen Frieden hat es nie gegeben.'
Udo Frentzen - 1990
(übersetzt von U. F. 2012)
Lebend, bewegend und wach zu sein
Ist besser als alle Zeit, die nicht bleibt.
Wen Notta - 1982
(übersetzt von U. F. 2013)
Schlanke Stangen sprießen zu Laub,
Zäunen posierend gewerkt das Gut,
Führen zum geschwungenen, offenen Tor,
Um des Besitzers Gastlichkeit zu zeigen, -
So demonstrieren Sprache und jedes Wort
Schutz und Schlüssel seines Verstandes.
Wen Notta - 1981
(übersetzt von U. F. 2013)
Du hast Herz und Engagement,
Dein Freund wird sich erinnern.
Jetzt haut dich ein armer Bettler an,
Seine Haut und Haare riechen septisch,
Der Mantel fällt lose und offen, -
Kleider sind von Adam's Sünde.
Er spuckt und flucht mangeldes Glück,
Angelt sich einen Knochen vom Abfall,
Käuft sich von deiner Spende Alkohol, -
Sei zwanzig und wieder kräftig.
Drehe dich nicht vor Lumpen um
Oder schaudere vor Verworfenheit, -
Verstehe und vergebe es,
Er wird dir dafür danken.
Wen Notta - 1981
(übersetzt von U. F. 2013)
Einmal ward im Paradies gesündigt
Einmal wurde das Gesetz verkündigt
Einmal wandelte der Herr auf Erden
Sieh Licht und Frieden, entscheide
Jesus oder Sünde, wer von beiden?
Einmal wird dein Herz im Tode brechen
Einmal wird dir Gott das Urteil sprechen
Einmal wird sein Wort in Schwere treffen
Anonym - 2009 (bearb.)
Ein Wanderer nimmt seinen Stab
Und setzt aus, Ort nach Ort
Das himmlische Land zu erreichen,
Das der Herr seinen Erben gab.
Er wandert freudig gegen das Ziel,
Die Schultern drückt das Kreuz,
Das ihm als Glaubenslast auferlegt
Und Sein Wort den Weg vorgibt.
Die schwere Last zwingt ihn zum Ruhen,
Er kann nicht mehr, er nimmt sie ab,
Mit einer Säge kürzt er den Mittelstamm
Und kann mit festen Schritten ziehen.
Die Pilgerfahrt ist nun leicht und gut,
Er steht am Grenzfluss der Sühne
Und ein Bruder wirft sein langes Kreuz
Als trockene Brücke über die Flut.
Seins ist jedoch um Einiges zu kurz
Und er ruft den Bruder um Hilfe an,
Der: 'Welchen Teil hast du abgesägt?'
Er: 'Den der sozialen Verantwortung.'
Anonym - 2010 (bearb.)
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